Freiwilligenarbeit als Paar in Ecuador

ein toller Sonnenuntergang am Strand von Ecuador

Englischunterricht in dem ecuadorianischen Fischerdörfchen Don Juan. Es ist neun Uhr morgens, die Luft ist schwül. Zwanzig Zweitklässler umringen uns. Wir stehen mit der Gitarre auf dem Schulhof der örtlichen Schule – und singen: „If you are happy and you know it, shout Hooray!” Arme schnellen in die Höhe und zwanzig Kinderstimmen rufen begeistert “Hooray!“. Ich muss grinsen. Innerlich freue ich mich und bin auch ein bisschen erleichtert, dass dieses „Spiel“ endlich klappt – an unserem vorletzten Tag als Freiwillige in Don Juan. Die Kinder haben das Prinzip des Lieds verstanden, machen mit und haben Spaß am Unterricht. Das hat Zeit und Geduld gekostet.

 

Lesen, spielen, lernen – das Projekt

Insgesamt fünf Wochen haben Tom und ich uns als Paar im Sommer 2023 in den Projekten der Stiftung „A Mano Manaba“ an der Nordküste Ecuadors (Provinz Manabi) engagiert. Die Stiftung hat sich zum Ziel gesetzt, den Menschen in Don Juan mehr Zugang zu Bildung zu verschaffen. Sie will ihnen Möglichkeiten bieten, in einem positiven Umfeld Neues zu lernen. Herzstück der Stiftung ist eine Bibliothek, die im April 2018 eröffnet wurde und zugleich als Kulturzentrum für den Ort dient. Die Idee: Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene sollen hier die Welt der Bücher entdecken können und einen Ort finden, an dem sie sich treffen und mit Spaß lernen können – und zwar alles von Englisch über Lesen und Schreiben bis hin zu Taekwondo oder Fotografieren.

Wenn man nachts das Meer rauschen hört – unsere Unterkunft

Diese Bibliothek war für fünf Wochen unser Zuhause. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Während unserer Zeit als Freiwillige haben wir zu zweit in dem Bibliotheksgebäude aus Bambus gewohnt. Jeden Abend sind wir dort unter unserem Moskitonetz eingeschlafen, das Meeresrauschen im Ohr, den leichten Wind, der durch die Ritzen zwischen den Bambusrohren dringt, auf der Haut. Jeden Morgen haben wir hier unter dem kalten Wasser geduscht. Und in der zur Bibliothek gehörenden Küche haben wir von den Nachbarn gelernt, wie man Fisch entschuppt und ausnimmt.

Wenn aus einer Katastrophe etwas Gutes erwächst – der Hintergrund des Projektes

Das Bibliothekshaus ist ziemlich neu – wie viele Gebäude in dem Dorf. Denn im Frühjahr 2016 wurde diese Region Ecuadors von einem starken Erdbeben erschüttert. Insgesamt mehr als 600 Menschen verloren ihr Leben, unzählige ihr Hab und Gut. So auch in Don Juan. Das kleine Fischerdorf, in dem etwa 300 Familien leben, war nach dem Erdbeben komplett verwüstet. Die winzige Bibliothek, die es zu der Zeit in dem Ort gab, blieb als Trümmerhaufen zurück. Das wollten zwei Dorfbewohner nicht hinnehmen: Rut und Esteban, ein ecuadorianisches Paar, das viele Jahre in den USA gelebt und Literatur unterrichtet hatte, gründete „A Mano Manaba“ und ließ ein neues, großes Bibliotheksgebäude bauen. Das Paar war erst kurz vor dem Erdbeben nach Don Juan gezogen und hatte sein neues Heim wie ein Kartenhaus zusammenstürzen sehen. Statt zu resignieren oder mit den Überbleibseln ihres Besitzes das Weite zu suchen, fanden die beiden den Mut für einen Neuanfang. Und wie viele andere Dorfbewohner berichten sie heute zwar einerseits von dem Schrecken der Naturkatastrophe, betonen aber auch, dass sich seitdem vieles zum Guten verändert habe: „In Zeiten der Not hat jeder jedem geholfen“, erzählt Rut, „Durch das Erdbeben ist ein starker Gemeinschaftssinn im Dorf entstanden – und eine tolle Bibliothek.“ Diese positive Sichtweise hat uns tief beeindruckt.

Zwischen Puzzeln und Bilderbüchern – unsere Aufgaben

Kinder lernen im UnterrichtEs war eine unserer Aufgaben, jeden Morgen um 9 Uhr die Bibliothek zu öffnen. Manchmal kamen zwei Kinder, manchmal fünfzehn. Wir haben mit ihnen in Bilderbüchern geblättert, Englisch geübt, Memory oder Schach gespielt – und gepuzzelt. Zu unserer Überraschung war Puzzeln hier der absolute Renner! Manche Kinder konnten sich stundenlang damit beschäftigen, ein und dasselbe Puzzle immer wieder zusammenzusetzen. Dreimal die Wochen sind wir vormittags zusätzlich in die Grundschule gegangen, um Englisch zu unterrichten – auf Spanisch! Das war eine echte Herausforderung für uns. Am Nachmittag stand dann häufig Hausaufgabenhilfe in der Bibliothek auf dem Programm – oder auch kreativere Projekte. So haben wir einen Fotografie-Kurs angeboten, mit den Kindern gemalt oder Gitarre gespielt.

Hier sahen wir einen besonderen Bedarf (und bekamen zum Glück den nötigen Gestaltungsfreiraum!), denn – das ist uns schnell aufgefallen – die Kinder hier werden in der Schule oder zu Hause kaum dazu angeregt, selbst kreativ zu werden, eigene Ideen und Gedanken zu entwickeln. Ihre Hausaufgaben bestehen häufig darin, Passagen aus Schulbüchern abzuschreiben – egal, ob sie diese verstehen und weiterdenken können. Auf meine Frage „Na, was hast du heute auf?“ habe ich in den fünf Wochen unzählige Male die spanische Antwort „Copia“ bekommen, sprich: eine „Kopie“ anfertigen, etwas abschreiben.

Eine andere Welt kennenlernen und sich darauf einlassen

Nicht nur bei den Hausaufgaben, sondern in allen Lebensbereichen entdeckten wir Dinge, die hier einfach „anders laufen“. Sei es, dass man sich für eine bestimmte Uhrzeit verabredet, doch das Treffen dann grundsätzlich mindestens eine halbe Stunde später stattfindet. Oder, dass fast das gesamte Dorf sonntags in die Kirche geht. Dass die Frauen alle Hausfrauen und die Männer alle Fischer sind. Dass viele Familien mehr als fünf Kinder haben. Die meisten Dorfbewohner verlassen den Ort nur sehr selten, fast niemand von hier war schon mal im Ausland. Seit vielen Generationen arbeiten die Leute als Fischer, haben teilweise mit elf oder zwölf Jahren die Schule verlassen. Wir erlebten hier also eine völlig andere Lebensrealität mit, tauchten in eine für uns fremde Welt ein. Und andersherum erging es den Menschen in Don Juan ähnlich mit uns. Einmal fragte uns ein zehnjähriges Mädchen neugierig: „Ihr wohnt in Deutschland? Wo ist das? Muss man, um dahin zu kommen, die Straße in Richtung Pedernales (nördlich gelegener Nachbarort) oder in Richtung Jama (südlich gelegener Nachbarort) nehmen?“ Als wir erklärten, wir seien mit dem Flugzeug über den Ozean gekommen, schaute sie uns ungläubig an. Das klang für sie wie ein Märchen.

Interkultureller Austausch

Manchmal waren wir überfordert mit den ungewohnten Gegebenheiten. Die Menschen haben andere Gewohnheiten und eine andere Sicht auf die Welt. Und als Freiwillige sind wir zu Gast. Klar, wir wollen „helfen“, wollen etwas geben von dem, was wir können – zum Beispiel in Form von Englisch- oder Gitarrenunterricht. Aber es geht nicht darum, an diesem Ort etwas nach eigenen Vorstellungen umzukrempeln oder unseren Stempel aufzudrücken. Stattdessen haben wir versucht, einen Austausch herzustellen – und die Momente, in denen uns das gelungen ist, waren die besten (und lehrreichsten!) Erfahrungen in unserer Zeit als Freiwillige. So hat Rut uns lateinamerikanische Gedichte vorgelesen. Einer der Fischer hat uns mit zum Garnelenfischen aufs Meer rausgenommen. Eine Nachbarin hat uns gezeigt, wie man traditionelle „Ceviche“ zubereitet – und wir haben ihr Brotbacken beigebracht. Wissen und Können gibt es eben auf beiden Seiten und wir haben den Austausch als sehr wertvoll empfunden. So konnten wir zum Schluss nicht nur mit dem Gefühl nach Hause zurückkehren, ein tolles Projekt unterstützt zu haben, sondern auch mit vielen neuen Kochrezepten im Gepäck, mit neuen Spanisch-Vokabeln und WhatsApp-Kontakten zu herzlichen Ecuadorianern.

Auch Interesse an Freiwilligenarbeit in Ecuador? Meine fünf Tipps

(Ein bisschen) Spanisch lernen!

Das erleichtert nicht nur die tägliche Kommunikation, sondern ermöglicht dir auch einen intensiveren Austausch mit Einheimischen. Ob im Projekt, in Bussen oder Supermärkten – mit etwas Spanisch kannst du mit jedem reden und so noch besser in die ecuadorianische Kultur eintauchen.

Geduld und Zeit mitbringen!

Gerade in sozialen Projekten sind immer Zeit und Geduld gefragt. Man muss die Menschen, mit denen man zu tun hat, erst einmal kennenlernen, eine Verbindung herstellen und Vertrauen zueinander aufbauen. Das braucht Zeit – egal, wo auf der Welt du unterwegs bist.

Überforderung akzeptieren!

Auf Fotos von Freiwilligendiensten sieht es oft so aus, als sei die Arbeit als Freiwillige/r ein riesiger Spaß. Das ist, bzw. kann, es auch sein. Aber eben nicht immer. Es gibt auch Momente der Überforderung, frustrierende Tage, schwierige Situationen. Das ist normal und gehört zu der Erfahrung dazu. Rechne damit, akzeptiere es – und dann stell dich den Herausforderungen.

Austausch anregen!

Du bringst Zeit, Energie, Können und Wissen in das Projekt ein, für das du dich engagierst. Doch auch auf der „anderen Seite“, ob bei Projektinitiatoren oder Teilnehmenden, Einheimischen oder anderen Freiwilligen, gibt es viel Können und Wissen. Zeig Interesse und sorge für einen Austausch. Das ist für alle bereichernd.

Genießen!

Freiwilligenarbeit in einem Sozialprojekt in Ecuador oder anderswo auf der Welt ist eine besondere Erfahrung, an der du wächst und bei der du viel lernst. Doch vergiss den Spaß dabei nicht. Diese unvergessliche Erfahrung bekommst du nicht wieder – genieß sie und freu dich zwischendurch immer wieder bewusst darüber, dass du gerade da bist und das erlebst.

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