Christian und Marcus vom freiwilligenarbeit/magazin haben sich bei ihrem gemeinsamen Aufenthalt in Chile mehrere Volunteer-Einsatzstellen angesehen. Heute berichtet Christian von ihrem Besuch in einem Straßentier-Projekt in Chiles Hauptstadt Santiago. Weil die Auffangstationen, Kliniken und sonstigen Standorte des Tierschutz-Projekts an verschiedenen Orten im gesamten Stadtgebiet liegen, wurde dieser Besuch zu einer Stadtrundfahrt der besonderen Art. Teilnehmer waren neben Christian und Marcus auch die Projektleiterin Lidia sowie Andrea, die in Santiago für eine Volunteer-Organisation arbeitet und den Kontakt zum Projekt vermittelt hat. Auf der Tour haben Christian und Marcus sehr viel über die Arbeit der freiwilligen Helfer und das fehlende Tierschutz-Bewusstsein in weiten Teilen der chilenischen Bevölkerung erfahren.
Die Professora und ihre Hunde
Bei der ersten Begegnung mit Lidia bemerkt man schnell, dass sie zu den Menschen gehört, die erfüllt, womit sie ihre Zeit verbringen: Neben ihrer Tätigkeit als “Professora” an einer Sprachschule ist das bei ihr vor allem ihr ehrenamtliches Engagement für die Straßenhunde und -katzen in Santiago. Wir treffen Lidia zur Mittagszeit an der U-Bahn-Haltestelle “Salvador”, nicht weit vom “Cerro San Cristóbal“, einem der Wahrzeichen Santiagos. Die Gegend rund um die U-Bahn-Station ist einer der Orte in Chiles Hauptstadt, an denen ein allgegenwärtiges Problem besonders deutlich wird: Dutzende von Straßenhunden, viele von ihnen in einem bemitleidenswerten Zustand, säumen die Gehwege rund um die Haltestelle. Die meisten von Ihnen schlafen – wegen der Hitze werden sie erst in der Nacht aktiv und durchsuchen dann den Müll nach etwas Fressbarem.
Die Auffangstation
Es ist Sommer. Santiago liegt in einem Talkessel, Hitze und Abgase stauen sich hier, Smog ist ein großes Problem in der 5 Millionen-Metropole. Nichtsdestotrotz hat Lidia ein Programm für uns zusammengestellt, das uns quer durch die Stadt führen wird – zu Fuß, mit der U-Bahn und dem Bus. Gemeinsam mit Andrea steigen wir die Treppen hinab zur U-Bahn und machen uns auf dem Weg zu unserem ersten Ziel: einer Hundeauffangstation.
Nach 20 Minuten Fahrt und weiteren 15 Minuten Fußweg erreichen wir eine Art Industriegelände. Lidia stellt ihre Begleiter einem ehrenamtlichen Mitarbeiter vor, der uns freundlich begrüßt und anschließend zu einer nach vorn geöffneten Halle führt. In langen Reihen sind hier kleine Käfige aufgestellt, alle belegt und das karge Zuhause von mehr als 100 Hunden verschiedenster (Mischlings-)Rassen. Unter ihnen sind sehr alte Tiere, ganz junge, auch Welpen sind dabei. Obwohl die freiwilligen Helfer ihr Möglichstes tun, fällt auch hier der schlechte Zustand vieler Hunde auf.
Das Bild, das sich uns hier bietet, und der Blick der Hunde (den jeder kennt, der schon mal in einem Tierheim war) wecken Mitleid, Wut, eine gewisse Hilflosigkeit – aber auch den Wunsch, die Zustände zu verbessern, den Tieren irgendwie zu helfen.
Fehlendes Bewusstsein für den Tierschutz
Dank Andreas´ Übersetzung verstehen wir, trotz unserer sehr rudimentären Spanisch-Kenntnisse, was Lidia erklärt: In Chile gäbe es kein besonders großes Bewusstsein für die Leiden der Tiere, nicht die öffentlichen Mittel oder privaten Spenden für Tierheime oder Auffangstationen. Weil die Menschen in Chile (ebenso wie in vielen anderen Ländern) immer mehr Haustiere kaufen und verschenken, sich aber keine Gedanken über die damit verbundene Verantwortung machen und dann Hunde, Katzen etc. einfach aussetzen, wird die Situation immer problematischer. Und die Hilfe von freiwilligen Helfern aus dem Ausland immer wichtiger: Sie sollen sich um die Tiere kümmern, aber vor allem auch Aufklärungsarbeit betreiben, damit sich vor allem mehr junge Chileninnen und Chilenen für den Tierschutz engagieren, und das Projekt mehr Tiere an verantwortungsvolle Menschen vermitteln kann.
Im Hunde- & Katzenparadies
Mit dem Bus machen wir uns auf den Weg zur nächsten Station, die sich als Lidias Haus entpuppt. Hier lebt sie gemeinsam mit wechselnden Mitbewohnern aus aller Welt, mindestens einem Dutzend Hunden und noch deutlich mehr Katzen. Von dem freundlich eingerichteten kleinen Haus treten wir in einen Garten mit vielen Bäumen und Sträuchern. Begrüßt werden wir von der ganzen Hundemeute, die sich sichtlich über den zahlreich erschienen Besuch freut. Die Katzen sind da – wie man sie kennt – durchaus reservierter: Die meisten von Ihnen bleiben auf dem Dach des an den Garten angrenzenden Schuppens sitzen und beobachten das Geschehen. “Sie wurden gequält, sind traumatisiert und haben Angst vor Menschen. Sie werden dort oben bleiben, solange ihr hier seid” erklärt uns Lidia. Anschließend stellt sie – während um uns herum um unsere Gunst gebalgt wird – jeden ihrer tierischen Mitbewohner vor und erzählt die eine oder andere Geschichte zu ihnen.
Nachdem wir ausgiebig mit den Hunden getobt und die Katzen gestreichelt haben, serviert Lidia uns noch ein Getränk, von dem der Autor nicht mehr weiß, was es genau war, das aber sehr gut geschmeckt und erfrischt hat. Und dann bekommen wir noch auch eine selbstgemachte Marmelade aus Lidias Garten geschenkt.
Die Tierklinik
Die nächste Station ist eine Tierklinik. Wir erreichen sie mit einem Ziehharmonika-Bus, in dem sich junge Musiker einige Pesos verdienen und Eisverkäufer mit einem “Heladoheladoheldao!” ihre schmelzenden Waren anbieten.
Die Klinik ist einem Geschäft für Tiernahrung angegliedert und sehr klein. Der behandelnde Arzt arbeitet ehrenamtlich und kann nicht regelmäßig hier sein. Die freundliche, ansteckend fröhliche Art des jungen Chilenen ist angesichts der zum Teil erbärmlich aussehenden Kreaturen, die in der Klinik leben, und von denen einige nur noch auf ihren Tod warten, schlichtweg beachtlich.
Nach der schönen Zeit bei Lidia und ihren Vierbeinern hat das in der Tierklinik gesehene die Stimmung deutlich gedrückt, und das was uns – nach einer weiteren Fahrt mit dem Bus – dann auf dem “Mercado Vega” erwartet, wird daran nichts ändern.
Straßenhunde am Mercado Vega
Auf diesem Markt, mitten im Zentrum Santiagos, aber etwas abseits der touristischen Hotspots, leben Mensch und Tier ganz nah beieinander – und gemeinsam in bitterer Armut. Alles und nichts wird hier feilgeboten, die Menschen versuchen sich irgendwie einige Pesos zu verdienen, und von dem wenigen das sie haben, geben sie “ihren” Straßenhunden noch etwas ab. Wie die Hunde leben hier auch viele Menschen auf der Straße.
Wir treffen zwei Freundinnen von Lidia, auch sie sind Teil des Projekts, das eher ein Netzwerk ist und sich zum Teil über die sozialen Medien organisiert, um auf diese Weise auch immer wieder auf verletzte bzw. neu ausgesetzte Tiere aufmerksam zu machen.
Die Frauen kennen jeden der Hunde, die im Umfeld des Mercado Vega leben, und fast jeder von Ihnen hat auch ein für den ungeübten Beobachter deutliches Erkennungszeichen: Ein fehlendes Bein, eine abgebissene Zunge, eine offene Wunde,… Wenn nötig, werden die Tiere von der Straße in die Auffangstation oder die Tierklinik gebracht – auch wenn ihre “Besitzer” am Mercado Vega die Tiere nur sehr ungern hergeben.
Mit dieser Station, auf der wir die Hunde noch einmal dort gesehen haben, wo sie ja eigentlich nicht sein sollten, auf der Straße, endet unsere Projektbesichtigungs-Tour durch Santiago de Chile. Wir bedanken uns bei Andrea und Lidia und versprechen, in unserem Magazin sowie auf www.freiwilligenarbeit.de auf das Projekt aufmerksam zu machen, damit möglichst viele Helfer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Chile kommen um zu helfen.