Lea hat beim Volunteering in Nicaragua Kinder betreut. Im August ist sie für ein Jahr in das zentralamerikanische Projekt im Rahmen des „Weltwärts“ Programms gereist. Nebenbei arbeitete sie im „Casa del tercer mundo“, einem Büro, welches den Austausch zwischen Deutschen und Nicaraguanern organisiert. Nach ihrem Volunteering Aufenthalt, hat sie zahlreiche Geschichten aus dem alltäglichen Leben, spannenden Reisen oder den ganz normalen Problemen und Schwierigkeiten eines jeden freiwilligen Helfers für uns. Welche Schwierigkeiten es vor Ort gibt, welche Unterkunft am besten ist und welcher Moment Lea am meisten geprägt hat, hat Lennard vom fwa/Magazin erfragt.
Lea: Nicaragua sorgt manchmal für ein absolutes Chaos in meinem Kopf. Mal wünschte ich mir nichts sehnlicher als zurück in Deutschland bei meiner Familie zu sein, doch dann wurde mir bewusst, was für eine tolle Möglichkeit es ist, hier ein Jahr Leben und Arbeiten zu dürfen. Schritt für Schritt lernte ich dieses fremde Land kennen und lieben.
Die Eingewöhnungsphase…
fwa/Magazin: Im August letzten Jahres bist du nach Nicaragua gereist. Kannst du uns etwas speziell über den Anfang und die Eingewöhnungszeit deines Freiwilligendienstes erzählen?
Lea: Schon nach wenigen Stunden in Nicaragua wurde mir bewusst, dass mich hier eine ganz andere Welt erwartet. Alles schien mir neu. Straßen, Häuser, Essen, Klima, ja sogar der Geruch des
Landes unterscheiden sich komplett von Deutschland. Auch wenn ich von meiner Organisation gut auf Nicaragua vorbereitet wurde und schon einiges wusste, wurde mir der Lebenskontrast erst richtig bewusst, als ich aus dem Flugzeug stieg. Den Moment als ich dann später die ersten Worte Spanisch mit meiner zukünftigen Gastmutter wechseln musste, werde ich niemals vergessen. Das war unglaublich spannend, aber zugleich war ich total überfordert.
fwa/Magazin: Du hast also in einer Gastfamilie gewohnt? In vielen Projekten haben die Volunteers auch die Möglichkeit in sog. Volunteer-Häusern zu leben. Welche Vorteile bzw. Nachteile siehst du darin?
Lea: Ich würde Freiwilligen, egal in welchem Land sie sind, auf jeden Fall empfehlen in einer Gastfamilie zu leben. Die Erfahrungen die man dort sammelt, sind mit denen aus einem Volunteer-Haus nicht zu vergleichen. Ich habe kein sonderlich enges Verhältnis zu meiner Gastfamilie und fühle mich oft mehr als „Goldesel“. Denn ich bekomme ständig mit welchen Luxus das Geld, das die Familie für meine Anwesenheit bekommt, in das Haus spült. Jedoch werde ich immer gut behandelt und ich nehme, ob ich will oder nicht, an dem Alltagsleben der Nicaraguaner teil. Dies könnte ich in einem Volunteer-Haus in dieser Form niemals erleben.
Ich lebe in einem Frauenhaushalt (Oma, Mutter, Tochter). Das ist für mich sehr schwierig, da die drei Generationen mich natürlich auch unterschiedlich wahrnehmen. Mit meiner Gastoma habe ich zum Beispiel nur sehr wenige Worte gewechselt.
Auch die Sprache ist ein wichtiger Faktor, der für das Leben in einer Gastfamilie spricht. Um mich nicht komplett zu isolieren, bin ich gezwungen Spanisch zu sprechen. Hierbei stecke ich in einer Pflichtsituation, die mir unwahrscheinlich viel bringt.
Ich habe aber auch schon oft darüber nachgedacht, wie schön und entspannt es gewesen wäre mit anderen Freiwilligen in einem Haus zu wohnen. Ich habe viele gute Freunde gefunden und der Gedanke mit ihnen zu leben, keine Hausregelungen zu beachten und immer ein offenes Ohr in schwierigen Momente zu haben, ist natürlich sehr verlockend. Dennoch bin ich sehr froh in meiner Familie gelebt zu haben und kann es jedem der seinen Freiwilligendienst möglichst authentisch verbringen möchte, nur empfehlen.
Tipps zur Vorbereitung aufs Volunteering in Nicaragua
fwa/Magazin: Das klingt als hättest du sehr gründlich darüber nachgedacht ob eine Gastfamilie oder ein Volunteer-Haus deine bessere Wahl ist. Ein kritisches, aber spannendes Thema. Könntest du unseren zukünftigen Volunteers vielleicht ein paar Tipps geben, wie sie sich am besten auf ihre Freiwilligenarbeit vorbereiten sollten?
Lea: Darüber könnte ich als Volunteer, da ich selbst schon einige Zeit im Einsatz war, wahrscheinlich ein ganzes Buch schreiben…
Generell ist natürlich der Anfang etwas schwierig, beispielsweise war ich oft sehr traurig wenn ich mich manchmal alleine gefühlt habe, oder Sachen nicht so funktionierten wie ich mir das erhofft hatte. Man darf sich nicht entmutigen lassen und sollte versuchen langfristig zu denken. Wichtig ist, dass man sich bewusst macht für einen längeren Zeitraum in einem fremden Land zu sein und dabei viele Kompromisse eingehen zu müssen. Nach den ersten Monaten wird schon alles funktionieren und am Ende wollte ich fast gar nicht mehr zurück nach Hause. (lacht)
Am meisten sollte man sich auf die Sprache vorbereiten. Mit meinen drei Jahren Schulspanisch, war ich hier am Anfang schon sehr überfordert. Nach einiger Zeit war ich gut in der Sprache drin und habe viel besser gesprochen und gelernt, allerding hat das eine Weile gedauert. Da hätte ich vor meiner Ausreise deutlich mehr machen sollen, denn das hätte den Einstieg ungemein erleichtert. Über die Kultur oder Geschichte eines Landes, kann man als freiwilliger Helfer noch so viel lesen, am Ende muss jeder seine eigenen Erfahrungen machen und man kann sich auf nichts perfekt vorbereiten. Ich glaube, wenn man seine zukünftige Aufgabe positiv angeht, dann wird schon alles gut. Macht euch keinen zu großen Kopf und nehmt einfach alles ganz locker.
fwa/Magazin: Du scheinst die schwierige Anfangsphase also nach kurzer Zeit hinter dich gebracht zu haben. Was genau hat dir dabei geholfen?
Lea: Ich habe hier in kurzer Zeit richtig gute Freundschaften geschlossen. Wir sind über zehn Volunteers in derselben Stadt, jedoch alle mit unterschiedlichen Gastfamilien und Projekten. Es hilft sehr Menschen um sich zu haben, die in der gleichen Situation stecken, oder die gleichen Schwierigkeiten und Probleme haben. Dabei ist es auch ganz egal, aus welcher Nation die anderen kommen. Ich habe hier mit Dänen, Spaniern, Holländern und natürlich auch Nicaraguanern zu tun gehabt. Wir sind eine internationale Gruppe und ich glaube daraus entwickeln sich leicht unzertrennliche Freundschaften. Außerdem haben wir zusammen auf Reisen bereits nach so kurzer Zeit so viel erlebt, dass wir uns unser Leben lang davon erzählen können.
fwa/Magazin: Interessant, was war denn bisher dein schönstes Erlebnis zusammen mit den anderen Volunteers?
Lea: Das ist schwer in Worte zu fassen, aber ein Bild hat sich besonders in meinen Kopf eingebrannt und wird mich so schnell nicht wieder loslassen. Im Dezember waren wir auf dem Weg zu einem kleinen Festival auf der „Isla de Ometepe“ eine große Vulkaninsel mitten im Nicaragua- See. Als wir mit der Fähre vom Festland die Insel erreichten und sich bereits der große Vulkan mit seiner rauchenden Spitze aus den Wolken erhob, war das ein majestätischer Anblick. Die Bushaltestelle, von der aus wir dann zu unserem Hostel wollten, lag direkt unter einem gigantischen Baum, der von einer Familie Brüllaffen bevölkert wurde. Ich habe zum ersten Mal wilde, frei lebende Affen gesehen – und das direkt vor meiner Nase. Dabei ging im Hintergrund, rechts neben dem Vulkan die Sonne unter und der ganze Himmel färbte sich Orange und blutrot. Kitschiger konnte die Situation nicht sein (lacht). Trotzdem war das wunderschön und mir wurde bewusst an was für einem magischen Ort ich mich grade befinde.
Freiwilligenarbeit vs. Voluntourismus
fwa/Magazin: Wow, dass klingt wirklich atemberaubend! Die Menschen sollten wirklich mehr reisen, da bekomme ich selbst ja schon ein wenig Fernweh. Wie stehst du denn zu der Frage Freiwilligenarbeit vs. Voluntourismus?
Lea: Gute Frage. Ich hatte schon oft den Gedanken, dass ich hier eigentlich mehr Urlaub mache, feiern gehe und Spaß am Leben habe, als das ich mich mit meiner eigentlichen Arbeit beschäftige. Dazu muss ich jedoch sagen, dass es bei meinem Projekt auch nicht immer leicht war. Wenige Aufgaben, keine geregelten Abläufe, schlechte Kommunikation – das alles w
ar sehr schwer für mich. Ich bin der Meinung, dass die Projektplätze in Deutschland besser ausgewählt werden sollten. Es gibt viele Beispiele in denen die Integration der Volunteers wunderbar funktioniert, jedoch mindestens genauso viele in denen die Volunteers eher überflüssig zu sein scheinen. Die Kunst darin besteht, sich neben der eigentlichen Arbeit Nebentätigkeiten zu suchen. Beispielsweise biete ich seit ein paar Wochen Deutschkurse für Nicaraguaner an. Das wird sehr gut angenommen und gibt mir ebenfalls das Gefühl, dass ich etwas Kleines bewirke. Volunteers sind keine Weltretter, aber wenn wir nach unserer Freiwilligenarbeit zurück nach Deutschland kehren und allen Freunden und Bekannten begeistert von unserem Einsatzland erzählen, tragen wir ja ein kleinwenig zur Entwicklung bei. Ich habe hier viel freie Zeit zum Denken und Nichtstun, aber auch das gehört für mich zu einem Freiwilligendienst, wie die Arbeit. Außerdem glaube ich, dass ich daraus viel über mich selbst lernen kann. Der Gedanke Freiwilligenarbeit als Selbstfindung, trifft auf mich jedenfalls auch zu.
fwa/Magazin: Danke für diese kritische Stellungnahme zu dieser wichtigen Frage. Scheint so, als ob du dir viele Gedanken darüber machst. Eine letzte Frage noch: Hattest du spezielle Ziele innerhalb deines einjährigen Freiwilligendienstes?
Lea: Vor meiner Ankunft hatte ich keine besonderen Ziele, ich wollte erst einmal schauen wie das Projekt für mich läuft. Nach einer Weile wollte ich jedoch gerne mein Projekt wechseln und mich ein wenig mehr der Arbeit in einem nahegelegenen Naturschutzreservat widmen. Es war geplant, dass ich Englisch- Deutschunterricht geben soll. Das stellte ich mir in einer Region, in der Schule nicht zum Alltag gehört, jedoch sehr schwierig vor. Gleichzeitig hätte mir das aber auch sehr viel Spaß gemacht und wäre ein großes Projekt für mich gewesen. Ich habe sehr gehofft das Projekt realisieren zu können, leider ging das allerdings nicht so wie geplant. Ansonsten wünschte ich mir noch ganz viele tolle Erlebnisse und viele „Wow-Momente“, die ich definitiv auch hatte. Im März kam mein Bruder mich vor Ort besuchen, da habe ich mich ebenfalls sehr drüber gefreut. Der größte Moment 2014 war jedoch die Ankunft in Deutschland am Flughafen, meine Familie wiederzusehen und in meine Heimat zurückkehren war einfach schön.