Larissa Oppermann (24) hat sich in ihrer Bachelorarbeit mit dem Thema Voluntourismus beschäftigt. Ein von ihr erarbeiteter Kriterienkatalog soll dabei helfen, von gewerblichen Veranstaltern angebotene Volunteer-Projekte auf ihre soziale Nachhaltigkeit zu prüfen. Im Gespräch mit Christian vom freiwilligenarbeit.de/magazin verrät Larissa, warum ihr das Thema am Herzen liegt und erklärt, wie sich die verschiedenen Freiwilligenarbeit-Angebote voneinander unterscheiden. Außerdem spricht sie über die Möglichkeiten ihren Katalog in der Praxis anzuwenden, und welche positiven Effekte für den Voluntourismus sie sich davon erhofft.
freiwilligenarbeit.de/magazin: Larissa, du hast “Catering, Tourismus und Hospitality Services” studiert – von diesem Studiengang habe ich ehrlich gesagt noch nie gehört. Was genau muss man sich darunter vorstellen?
Larissa Oppermann: Die Inhalte sind sehr vielfältig, von der Gastronomie über Cateringsysteme bis hin zu Reiseveranstalter-Themen und auch der Hotellerie. Dieser sehr spezielle Studiengang wird vom Fachbereich Oecothropholgie angeboten, daher auch der Bezug zum Catering.
f/m: Wie bist du für deine Bachelorarbeit auf das Thema “Voluntourismus” gekommen?
Larissa: Im Laufe des Studiums habe mich auf den Tourismus konzentriert und entsprechende Module belegt. Mehr und mehr habe ich mich dann mit dem nachhaltigen Tourismus beschäftigt und alternativen Tourismus-Trends. Darüber kam ich dann auch auf das Thema Volunteering als aktuellen Reisetrend und alternative Reiseform.
f/m: Was hat dich an dem Thema besonders interessiert?
Larissa: Als junger Erwachsener in ein Entwicklungsland zu reisen und dort freiwillig in einem Projekt mitzuhelfen – das war für mich eine Art des Reisens, die ich mir zu diesem Zeitpunkt selbst für mich sehr gut vorstellen konnte und über die ich mehr erfahren wollte. Mich hat interessiert, was der Reiz für junge Menschen ist, Volunteering im Ausland zu machen, wie dieser Trend entstanden ist und vor allem, ob diese Projekte für Volunteers auch einen wirklichen Sinn haben und nachhaltig sind.
f/m: In der Arbeit hast du dich dann ja auch im Detail mit der “sozialen Nachhaltigkeit von touristischen Volunteer-Projekten” beschäftigt und einen Kriterienkatalog entwickelt, anhand dessen die Nachhaltigkeit überprüft werden soll…
Larissa: Genau. Ursprünglich wurden die so genannten “Freiwilligendienste” fast ausschließlich gemeinnützigen Organisationen angeboten. In den letzten Jahren ist das Volunteering im Ausland aber zu einem großen Trend geworden. Dadurch sind auch viele gewerbliche Veranstalter auf das Thema aufmerksam geworden und immer mehr dieser Organisationen bzw. Unternehmen bieten heute verschiedenste Formen des Voluntourismus an. Da gibt es nicht mehr nur die einjährigen Freiwilligendienste, viele Veranstalter bieten nun auch Aufenthalte in Projekten ab zwei Wochen an, für all diejenigen, die eben nicht ein ganzes Jahr Zeit haben. Und das ist möglich in den unterschiedlichsten Bereichen: Man kann in einer Tierauffangsstation arbeiten, in einer Schule mithelfen, sich in einem Naturschutzprojekt engagieren und vieles mehr. Das Angebot ist mittlerweile so vielfältig, dass es sehr schwer ist, den Markt zu überblicken, insbesondere für den Kunden, also den Volunteer.
f/m: Und durch den “wuchernden” Markt ist das Thema Voluntourismus auch in die Kritik geraten…
Larissa: Richtig. Begleitend zur wachsenden Zahl an touristischen Volunteer-Angeboten wuchs die Kritik von Akteuren aus der “Szene”, aber auch in den Medien. Kritisiert wird beispielsweise immer wieder, dass gewerbliche Veranstalter nicht gründlich genug auf die Auswahl von guten und sinnvollen Volunteer-Projekten achten und vielen Anbietern wird vorgeworfen, dass der Profit im Vordergrund steht. An diesem Punkt setzt meine Bachelorarbeit an: Ich habe einen Kriterienkatalog entwickelt, der die soziale Nachhaltigkeit von touristischen Volunteer-Angeboten überprüft.
Voluntourismus vs. Freiwilligendienste
f/m: Damit wir das trennen können … was genau ist ein “touristisches Volunteer-Projekt”? Und welche andere Arten von Volunteer-Projekten gibt es bzw. wie unterscheiden sich touristische und nicht-touristische Angebote aus deiner Sicht?
Larissa: Zum einen gibt es die Volunteer-Projekte von gemeinnützigen Organisationen (häufig auch “Entsendeorganisationen” genannt). Dabei handelt es sich in der Regel um längerfristige Freiwilligendienste, die häufig auch finanziell gefördert werden (z.B. über weltwärts, kulturweit, den Europäischen Freiwilligendienst, das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) im Ausland oder das Freiwillige ökologische Jahr (FÖJ) im Ausland). All diese Freiwilligendienste haben bestimmte (gesetzliche) Vorgaben und sind an einen konkreten Zeitraum (meistens 12 Monate) gebunden. Für die Teilnahme müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden und die Volunteers verpflichten sich zur Teilnahme an Vorbereitungs-/Nachbereitungsseminaren, um dort den Freiwilligendienst zu evaluieren.
f/m: Und die gewerblichen Angebote unterscheiden sich davon vor allem inwiefern?
Larissa: Sie werden nicht vom Staat gefördert und sind weitestgehend ungeregelt. Verschiedene kommerzielle Volunteer-Organisationen bieten unter Begriffen wie “Volunteer-Reisen”, “Volunteer-Tourismus” oder “Voluntourism” unterschiedlichste Projekt-Einsätze an, die in der Regel sehr attraktiv sind und im Vergleich zu regulären Freiwilligendiensten auch Reise- und Erlebniskomponenten beinhalten. Die Angebote reichen von wenigen Wochen bis zu mehreren Monaten. Dabei kann der Fokus entweder auf der Freiwilligenarbeit liegen, oder eben auf der Reisekomponente. Beispielsweise eine dreiwöchige Rundreise, die kombiniert wird mit einem einwöchigen Freiwilligenaufenthalt in einem Projekt – hier sind viele Formen und Kombinationen möglich.
Beratung & Vorbereitung sind wichtig
f/m: Arbeiten die touristischen Anbieter alle komplett anders als Non Profit-Anbieter, oder sind die von ihnen angebotenen Projekte möglicherweise teilweise recht ähnlich zu den nicht-kommerziellen Angeboten?
Larissa: Die touristischen Anbieter werden nicht vom Staat gefördert, weshalb die angebotenen Volunteer-Programme auch teurer sind bzw. überhaupt Geld kosten. Das heißt aber nicht zwingend, dass gewerbliche Anbieter schlechtere Arbeit leisten. Diese Unternehmen unterscheiden sich zum Teil deutlich voneinander und man muss sich den Einzelfall ansehen.
“…wie gut das abläuft, hängt von den
einzelnen Organisationen ab.”
f/m: Worauf muss man dabei achten?
Larissa: In erster Linie ist die Vermittlung der Freiwilligen in die Projekte vor Ort die Hauptaufgabe aller Organisationen, egal ob kommerziell oder gemeinnützig. Wichtig sind hierbei vor allem eine richtige Beratung, Auswahl und Vorbereitung der potentiellen Freiwilligen und eben auch die Begleitung während des Auslandsaufenthaltes. Und wie gut das abläuft, hängt von den einzelnen Organisationen ab. Und da arbeiten manche besser, manche schlechter. Daher kann man aber auch oft nicht direkt unterscheiden, ob es sich um einen touristischen Anbieter handelt. Die Angebote und Projekte können sich da mitunter schon sehr stark ähneln.
Soziale Nachhaltigkeit von Volunteer-Projekten
f/m: In deiner Arbeit hast du dich ja auf die “soziale Nachhaltigkeit” konzentriert – was genau bedeutet das in Bezug auf Volunteer-Projekte im Ausland?
Larissa: Ganz allgemein richtet die soziale Nachhaltigkeit den Blick auf die Menschen. Sie bedeutet eine dauerhafte, sozial gerechte Entwicklung. Kulturelle Eigenständigkeit, die Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen, ein Gesundheits- und Sicherheitsniveau und eine gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung sind beispielsweise einige wichtige Aspekte, die die soziale Nachhaltigkeit verfolgen. Insbesondere in Entwicklungsländern, wo auch viele der Volunteer-Projekte liegen, ist das aber oft nicht gegeben. Mich hat interessiert, welchen Nutzen die Volunteer-Angebote der Organisationen und Veranstalter für die Bevölkerung vor Ort haben, und inwiefern die Freiwilligen von ihrer Mitarbeit in einem Projekt profitieren. Deshalb habe ich im Rahmen meiner Arbeit Kriterien entwickelt, anhand derer man überprüfen kann, ob ein Volunteering-Angebot für beide Seiten sinnvoll und nachhaltig ist.
f/m: Welche dieser Kriterien sind aus deiner Sicht die wichtigsten bzw. entscheidenden? Kann man das überhaupt sagen?
Larissa: Das ist schwierig zu beantworten … sehr wichtig ist aber die Information, Vorbereitung und Begleitung der Freiwilligen: Gibt es ein Auswahlverfahren und Teilnahmevoraussetzungen? Werden Informationen transparent dargestellt? Findet ein Vorbereitungsseminar statt? Und auch im Projekt vor Ort ist es dann wichtig zu überprüfen, ob es eine Begleitperson für die Freiwilligen sowie ein Zwischenseminar (bei längeren Einsätzen) gibt. Es muss immer die Möglichkeit gegeben sein, dass die Freiwilligen sich bei Problemen und Fragen an eine bestimmte Person wenden können. Nach dem Auslandseinsatz sollte ein Nachbereitungsseminar angeboten werden. Alle Seminare vor, während und nach dem Freiwilligenprojekt sind sehr wichtig für die Reflexion der gemachten Erfahrungen.
“[Es] ist ein sehr wichtiges Kriterium, dass die
Projektziele klar definiert sind und
immer der Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“
verfolgt wird.”
f/m: Und worauf ist mit Blick auf das Projekt zu achten?
Larissa: Vor allem, dass die Bevölkerung vor Ort möglichst stark involviert wird, denn darin liegt ja der eigentliche Sinn und Zweck! Man möchte ja mit den Projekten bestenfalls erreichen, dass es zu einer nachhaltigen Entwicklung im Land kommt. Daher ist ein sehr wichtiges Kriterium, dass die Projektziele klar definiert sind und immer der Ansatz „Hilfe zur Selbsthilfe“ verfolgt wird. Gibt es zum Beispiel regelmäßige Evaluationen, um die Fortschritte zu dokumentieren? Solche Dinge sind wichtig, um die Projekte auch kontinuierlich zu verbessern und langfristig am Leben zu halten.
f/m: Die Notwendigkeit einer Prüfung auf Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit steht außer Frage, und da ist ein solcher Kriterienkatalog sicherlich eine gute Grundlage. Aber für wie realistisch hältst du es, all diese Projekte weltweit zu “screenen” – wer könnte das leisten? Wäre es für dich eine Alternative, lieber “nur” die Anbieter und ihre Arbeit (vor allem die Projektauswahl) zu zertifizieren?
Larissa: Die Umsetzung des Kriterienkataloges in die Praxis und die Überprüfung der einzelnen Projekte ist natürlich schwierig, da müsste man ein Konzept entwickeln, eine Institution schaffen … die Veranstalter und ihre Arbeit, und damit auch die Projektauswahl zu zertifizieren, ist da sicherlich der erste Schritt. Für die gemeinnützigen Entsendeorganisationen gibt es da schon das Quifd-Qualitätssiegel. Dieses zertifiziert aber eben nur die Organisationen von gesetzlich geregelten Freiwilligendiensten und nicht die kommerziellen Anbieter mit touristischen Angeboten. Da müsste auf jeden Fall noch etwas getan werden, um auch die touristische Seite mehr zu überprüfen und das Angebot transparenter zu machen.
f/m: In Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit stellt sich mir persönlich häufig die Frage: Wo fängt diese an, wo hört sie auf? Also: Welche Kriterien sind maßgeblich, wer legt diese fest, und ist es nicht häufig auch Ansichtssache, ob ein Kriterium in Gänze erfüllt ist oder nicht? Was ist da deine Meinung, ganz allgemein?
Larissa: Ja, das stimmt. Gerade viele Kriterien zur Nachhaltigkeit lassen sich nun einmal nicht an irgendwelchen Zahlen oder Parametern bewerten. Das muss ganz oft subjektiv bewertet werden. Und natürlich ist das dann auch ganz oft Ansichtssache. Aber ich denke, wenn man in ein Projekt vor Ort reist, um dieses zu bewerten, dann merkt man schon ganz schnell, ob ein Projekt so abläuft, wie es sein sollte oder eben nicht. Wichtig ist immer in erster Linie, dass die lokale Bevölkerung zufrieden ist und einen Nutzen aus der Zusammenarbeit mit den Volunteers ziehen kann. Wenn das nicht der Fall ist, oder sie sich sogar in ihrer Arbeit dadurch gestört fühlen, fehlen die wichtigsten Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit.
f/m: …und bezogen auf das Thema Volunteering?
Larissa: Das ist natürlich das gleiche. Auch die Freiwilligenarbeit an sich lässt sich nicht an Zahlen bemessen, höchstens am Feedback der Freiwilligen selbst. Und auch das ist dann wieder subjektiv. Es bleibt also schwierig, Projekte an ganz konkreten Kriterien zu bewerten. Man muss halt einfach schauen: Welche Unterstützung erhalten die Freiwilligen von den Organisationen, wie werden sie in das Projekt integriert? Und stellen sie auch keine Konkurrenz zu lokalen Arbeitern im Projekt dar?
Der “Voluntourismus” in der Kritik
f/m: Es gibt ja unter dem Buzzword “Voluntourismus” aktuell eine – mitunter hitzige geführte – öffentliche Diskussion um die gewerblichen Volunteering-Veranstalter. Aus meiner Sicht wird da – wie leider so häufig – medial eine “Schwarz-Weiß-Malerei” betrieben. Entweder wird völlig unkritisch berichtet, im Sinne von “Rette die Welt!”, oder alle Anbieter aus dem gewerblichen Bereich werden gemeinsam an den “Pranger” gestellt. Eine Differenzierung findet leider nicht statt. Wie siehst du das?
Larissa: Ja genau, so ist das momentan leider. Sehr häufig werden alle gewerblichen Anbieter stark kritisiert, weil sie das Blaue vom Himmel versprechen, überteuerte Projektaufenthalte anbieten, an denen jeder ohne jegliche Voraussetzungen teilnehmen kann und die Projekte vor Ort nicht mehr sorgfältig auswählen. Das kommt heute bei dieser Masse an Anbietern leider immer öfter vor, muss aber nicht so sein. Man darf eben nicht alle Anbieter von Volunteer-Projekten über einen Kamm scheren. Auch viele gewerbliche Veranstalter leisten eine sinnvolle Arbeit. Es gibt beispielsweise einige Anbieter, die sich auf ein bestimmtes Land und eine Projektart konzentrieren, die Projekte vor Ort regelmäßig besuchen und mit den Beteiligten vor Ort im engen Kontakt stehen. So wie es sein sollte. Organisationen, die von A bis Z die verschiedensten Volunteer-Angebote in fast allen Ländern anbieten, können ja nur den Überblick verlieren. Weniger ist da mehr! Und da spielt es keine Rolle, ob eine Organisation gewerblich ist oder nicht. Wichtig ist die Arbeit, die geleistet wird. Aus der richtigen Motivation heraus und dem nötigen Fokus auf die angebotenen Projekte. Da muss man auf alle Fälle differenzieren.
“Der Fokus sollte auf dem freiwilligen Engagement
liegen und dem Interesse an einem interkulturellen
Austausch. (…) Wünschenswert wäre auch, dass
das Angebot für Volunteers wieder
übersichtlicher wird.”
f/m: Welche Entwicklung würdest du dir für den “Markt” Volunteering wünschen, auch im Zusammenhang mit den Erkenntnissen aus deiner Arbeit?
Larissa: In erster Linie würde ich mir wünschen, dass man sich in diesem Markt wieder vermehrt auf den eigentlichen Gedanken des Volunteerings konzentriert. Der Fokus sollte auf dem freiwilligen Engagement liegen und dem Interesse an einem interkulturellen Austausch. Menschen in Entwicklungsländern unterstützen und fremde Kulturen erleben – das sollte das Ziel sein. Veranstalter und Organisationen sollten sich daher weg von Massenangeboten bewegen und sich wieder stärker auf wenige Projekte konzentrieren. Wünschenswert wäre auch, dass das Angebot für Volunteers wieder übersichtlicher wird. Es gibt so viele Organisationen und Angebote mit den unterschiedlichsten Namen dafür. Es gibt eben noch keine einheitlichen Begriffe für die verschiedenen Formen des Volunteerings im Ausland. Erstrebenswert wäre hier mehr Einheitlichkeit, damit man sich leichter einen Überblick verschaffen kann. Und wenn es dann letztendlich zu einem allgemeinen Zertifizierungssystem kommen würde, eben auch für den gewerblichen Sektor, das wäre natürlich toll.
f/m: Larissa, ich danke dir für das angenehme und informative Gespräch.
Larissa: Ich danke euch auch!